Sommerfrische

Der Sommer war anders. Provinziell statt exotisch. Sommerfrische statt ferner Länder. Marlen Haushofer statt T. C. Boyle. Höhepunkt: Zwei Wochen in einem uralten Haus am Rande des Nationalparks Kalkalpen.

Die Straße ist mit tiefen Schlaglöchern derart perforiert, dass wir so selten wie möglich die 20 Kilometer zur nächsten Ortschaft fahren. Stattdessen Langsamkeit und Entschleunigung. Elektrischer Strom kommt von der Photovoltaik-Anlage auf dem Dach. An trüben Tagen ist um 21 Uhr Schluss mit elektrischem Licht und wenn wir betrachten den Sternenhimmel – weitab von jeglicher Luftverschmutzung. Hin und wieder zieht eine Sternschnuppe quer über uns hinweg.  

Das Wasser zum Duschen kommt aus einem Schlauch und wird aus dem nahegelegenen Bach gepumpt. Wenn der Schlauch in der Sonne liegt, haben wir für zwei Minuten warmes Wasser. Länger zu duschen ist  nur möglich, wenn wir die Kälte des Bachwassers ignorieren. Oder uns an sie gewöhnen. Kurzes Untertauchen in den Tümpfen des Baches. Das Wasser ist so kalt, dass es auf der Stirn schmerzt und die Gelenke meiner Hände kribbeln, als hätte ich Gicht. Angenehmer ist es, abends in der Zinkwanne zu baden, wenn die Sonne das Wasser lau gewärmt hat.

Lange Frühstücke zwischen Bach und Staudenflur. Falter flattern um uns herum. Moschuskäfer, Heupferde und wilde Bienen kommen zu Besuch. Eine Eidechse lugt aus der Holzlage hervor. Nur die Kreuzotter versteckt sich, scheu wie sie ist.

Nach dem Frühstück: Gymnastik und etwas Yoga in der Wiese. Wir lassen uns Zeit. Mit allem, was wir tun, lassen wir uns Zeit. Spazieren ins Tal hinein, besuchen unseren Nachbarn, das Almwirtshaus (vor allem wegen der Katzen) und empfangen Besuch von der Nationalpark-Rangerin und Förstersfrau Erni.

Am Wochenende fahren wir doch die 20 Kilometer nach Molln. Kaufen ein, was wir für die nächste Woche brauchen und sehen uns am Abend ein Theaterstück an. „Die Wand“ von Marlen Haushofer, die hier geboren und aufgewachsen ist. Ein Ein-Frauen-Stück vor reduziertem Publikum: Wegen Corona muss zwischen den Stühlen im Zuschauerraum jeweils ein Meter Abstand bleiben.

Nebel, Gewitter, Sonne, Sterne und Sternschnuppen. Junge Adler sitzen während des Regens auf der großen Fichte gegenüber. Sie warten auf besseres Flugwetter. Wir warten auf gar nichts. Alles, was wir tun, braucht seine Zeit. Jeder Tag füllt sich von selbst. Langsam leben wir uns ein. Lernen, wer von unseren Nachbarn mit wem zerstritten ist (unser nächster Nachbar wohnt 5 km entfernt), schreiben dem Bürgermeister ein Beschwere-Email wegen des schlechten Zustands der Straße (wenn man im Liegestuhl vor dem Geräteschuppen sitzt, hat man zeitweise mobilen Internet-Empfang). Sehen, wie ein Siebenschläfer in der Nacht Radau in unserm Schlafzimmer macht und zur offenen Tür hinausflitzt. Sehen die Kreuzotter natürlich nicht, auch wenn wir sie noch so sehr suchen. Fotografieren, bestimmen Insekten, pflücken Himbeeren.

Zurück in Wien: Laut ist es hier. Es stinkt. Überall Hektik. Wir würden gerne die warme Dusche gegen ein wenig Sommerfrische-Entschleunigung tauschen.

Nebel nach dem Regen im Nationalpark
Blaue Stunde
Perlmutterfalter
Moschusbock, glitzernd wie ein Lifball-Besucher
Das Heupferd und seine Vorliebe für Primärfarben
Ein Bläluling kommt beim Frühstück zu Besuch
Nachbarin Erni
Unsere Badewanne
Die junge Katze des Nachbarn macht erste Schritte ins Freie

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