Klaustrophobie im Spitalsbett und der Hamster im Schnee

 

 

Im Krankenhaus verkleinert sich die Welt auf  80 cm x 190 cm. So groß, wie eben ein Spitalsbett ist, in dem ich – als Patient mit Überlänge – nicht ganz Platz finde. Es ist aber nicht das Bett, das Grenzen setzt. Es ist mein eigener Körper. Mit einer Lungenembolie kann ich nicht viel mehr als am Rücken liegen. Tagelang. Aufsetzen ist unendlich anstrengend. Waschen und Zähneputzen sind Schwerstarbeit. Das Eingesperrtsein in meinem Körper verursacht eine existenzielle Klaustrophobie. Panik im eigenen Leib.

Tag und Nacht laufen fremde Menschen an meinem Bett vorbei. Manche stechen mich, wollen mein Blut haben, sie schieben Röhren und Schläuche in meinen Körper und lassen Flüssigkeiten in mich blubbern. Als sie mir den Arterienkatheder ziehen, spritzt mein Blut zwei Meter weit . Erst der eilig herbeigerufene Chefarzt kann nach zwanzig Minuten Drücken die Blutung stoppen.

Tage später mache ich zum ersten Mal wieder ein paar Schritte. Gehe in meinem kurzen Spitalsnachthemd aufs Klo und wieder zurück. Ich soll Bewegung machen, meint die Therapeutin. Also gehe ich die hundert Schritte den Gang entlang und wieder zurück. Zehnmal am Tag, immer denselben alten Gang entlang und wieder zurück. Atme tief durch die Nase ein und durch den Mund aus.

Dany erzählt mir vom Hamster, den sie auf dem Spitalsgelände gesehen hat. Dick und fett sei er und werde wohl in diesen Tagen seine Winterruhe antreten. Ich schaffe es nicht, bis in den Park zu gehen. Ich schaffe es gerade einmal die Stufen bis ins untere Stockwerk und wieder zurück. Die milden Herbsttage sehe ich durchs Spitalfenster, sehe das leuchtende Laub und den klaren Himmel und atme dabei Männerausdünstungen und den Geruch von Desinfektionsmitteln ein.

Es ist wunderschön, nach zehn Tagen Spital wieder nach Hause zu kommen. Vor allem wenn mir noch zehn Tage im Krankenstand bleiben, also nicht ins Büro muss. Ich kann mir für alles unendlich viel Zeit lassen. Fürs Anziehen, fürs Geschirrabwaschen, fürs Teetrinken. Ein bisschen Spazierengehen und danach ein kleines Nickerchen. Daran kann ich mich gewöhnen. Rekonvaleszenz und gute Vorsätze dämpfen meinen Übermut.

Am letzten Tag meines Krankenstandes fahre ich noch einmal zum Spital. Nicht um mich noch einmal ins zu kurze Bett zu legen, sondern um das Gelände zu erkunden und mir nachträglich etwas Orientierung zu verschaffen. Von außen sehen die Pavillons beinahe heimelig aus. Die zehn Tage, die ich beinahe bewegungslos hinter diesen Mauern verbracht habe, sind so unendlich weit weg, als sei die Zeit aus meinem Leben geschnitten worden. Vor zwei Tagen hat es geschneit und immer noch liegen Schneereste auf dem Rasen und auf den Cotoneastern. Saatkrähe treiben Unfug. Wie es dem Hamster wohl geht? Bei diesem Wetter wird er sicher in seiner Höhle liegen. Doch nein – es raschelt im dürren Laub, es flitzt etwas über den Weg. Der Hamster reibt sich seine kleinen Hände und sieht mich aus seinen Knopfaugen neugierig an. Eine Zeitlang waren wir Nachbarn. Jetzt sehen wir einander zum ersten Mal. Für eine Begrüßung bleibt nicht viel Zeit. Der Hamster läuft weiter, um Beeren und Samen für seinen Wintervorrat unter den Blumenrabatten zu sammeln.

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